Wörtertreffen

Viel Spaß beim Lesen!...

Die Wörter hockten zusammen, ein außergewöhnliches Treffen, weit, weit weg von jedem Menschengedanken. Die Lage war ernst.

- Ich fühle mich ausgenutzt, ausgequetscht und müde, seufzte das eine Wort.

- Und ich stumpfe ab; die einen sind überarbeitet, und die anderen haben nichts zu tun, murrte ein anderes.

- Tier- , Kinder- , Pflanzenquäler, Bomben… Die Menschen tun schreckliche Dinge, klagte das Wort „unmenschlich“; und dann behaupten sie, das sei „unmenschlich!“. Fakten sind Fakten, kein anderes Lebewesen auf diesem Planeten verursacht so viel Unheil wie der Mensch. Man müsste sagen: Das ist „so menschlich“!

- Semantisch gesehen natürlich passend, bestätigte das Erste.

- Aus Profitgier, beschwerte sich das Wort „unglaublich“, prostituiert man uns. Mit jedem beliebigen Wort. Keine Verbindung mehr zu echtem Sinn. Wir werden ganz gezielt als Stimuli eingesetzt.

- Vergewaltigt! Was sonst? Man wird in jeden Satz hinein gequetscht und eingestreut und das nur, um zu schockieren, regte sich ein Superlativ auf.

- Die Globalisierung, auch eine schreckliche Sache! Sie überrumpelt, verschlingt alles. Nehmen wir zum Beispiel das Wort „Tomate“. Früher, wenn man mich nach diesem Wort in den Mund nahm, badete ich in delikaten, saftigen Gedanken ... heute klebe ich an diesem widerlichen, geschmacklosen, zuckerigen Tomatenketchupgedanken, der sich in jedem Menschenkopf befindet.

- Heutzutage ist sowieso alles künstlich oder virtuell, wir sind nur Erinnerungen unser selbst ... jammerte ein weiteres Wort resigniert.

- Homöopathische Erinnerungen, ergänzte noch ein anderes.

- Und die Schimpfwörter! Was sagt ihr zum „Fall Schimpfwörter“? Früher eine echte Extraklasse. Seltene, prächtige, machtvolle Wörter – was aus denen geworden ist ... Früher, als es noch Tabus gab ...

- Tja, das war einmal! bedauerte eine dunkle Stimme.

- Liebe Wörter, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, unterbrach ein charismatisches altes Wort, es gibt tatsächlich viel zu bereden.Heute aber sind wir versammelt, um über die gefährdeten und die verschwundenen Wörter zu sprechen.

- Gefährdeten, verschwundenen Wörter, wiederholte misstrauisch ein Adjektiv der Umgangsprache, ne, nicht wahr, oder?

- Leider ja, einige Wörter sind von uns gegangen.

- Sogar ganze Sprachen, habe ich gehört, flüsterte ängstlich ein Wörtchen. Scharenweise verschwinden jedes Jahr welche von uns.

- Echt???

- Jo!!! und das für fast immer, bestätigte ein cooles Straßenwort.

- Entweder immer oder nicht immer, korrigierte streng ein uraltes Wort, das nur noch schriftlich und auch nur sehr selten erschien, „fast immer“ ergibt doch keinen Sinn.

- Man merkt, dass es sich nicht mit jedem beliebigen Gedanken abgibt, flüsterte ein Wort. Wenn es wüsste, wie die Welt sich verändert hat ...! Na ja, man muss äußerst vorsichtig mit ihm umgehen, es gehört ja zu den Geschützten.

- Ja Alter, siehst du, bin auch schon infiziert, tanze grundlos mit allem und jedem, werde abgekürzt, kann nichts dafür, brauche Superlative, immer superstärkere megagiga Superlative ... ich kann nicht mehr ohne und entfärbe und entleere mich dabei, ich ergebe bald keinen Sinn mehr ...

- Komm Junge, Kopf hoch, genau deshalb treffen wir uns ja heute hier, räusperte sich das uralte Wort begütigend.

- Man muss doch die positiven Seiten auch sehen. Alte Sprachen werden wie Hieroglyphen neu entziffert, ermutigte eines.

- Nur aus Gier! murmelte ein anderes.

- Neue Technologien machen es möglich, uns zu speichern, fuhr das erste fort, und das Internet ...

- Ich bin schon zweimal im Internet geschrieben worden, prahlte fröhlich ein altes Wort, das bis jetzt nichts gesagt hatte, das dritte mal zähle ich nicht, da wurde ich falsch geschrieben, hüstelte es leise verlegen.

- Technik! Leider nur technischer Fortschritt, im Grunde genommen hat der Mensch sein Können und Wissen erweitert, seine Weisheit aber nicht.

- Die Jugend! denkt tatsächlich, Fortschritt bestehe darin, sich Mikrochips einspritzen zu lassen, merkt nicht Mal, welche Gefahren sie damit weckt …Die Versuchung wird zu groß sein …

- Eine Verschwörung! warnte das eine, wahrhaftig, sage ich euch.

- Lasst uns bitte bei unserem Thema bleiben! moderierte das charismatische Wort.

- Ich wüsste nicht, was mich das alles angeht, sagte eines der jüngsten Wörter, mir geht’s doch prima, bin in jeder Zeitung, jedem Mund, jedem Gedanken. Das Internet spricht nur von mir!

- Warte mal ab, bis sie einen neuen Prozessor erfunden haben, dann wirst du wissen, wo der Wind herweht ... Anglizismus! Ihr versucht andauernd an Bedeutung zu gewinnen, besonders beeindruckend zu wirken, denkt nur ans Jetzt ... Es gibt immer schnellere, schönere, kleinere, größere, neuere... du bist mehr bedroht als die meisten von uns, aber du kannst gerne gehen, erboste sich das alte Wort.

- Was können wir denn tun? fragte das neue eifrig.

Eine erwartungsvolle Stimmung machte sich breit,

- Der Mensch beschäftigt sich ständig! Er ist andauernd tätig… und viel zu laut! sagte endlich das alte charismatische Wort mit ruhiger Stimme. Jeder von uns, ob neu oder alt, ist kostbar und wertvoll.
Der Mensch aber, braucht JETZT keine neuen oder alten Wörter.
Er braucht Weisheit, Bewusstsein.
Durch sie erhalten wir unsere Bedeutung, und sie ihre schlafwandelnden Seelen zurück… flüsterte das Wort. Nur so werden neue Möglichkeiten des Daseins entstehen. Sie sollen wieder zu sich selbst zurückfinden.
Das Wort sprach langsam und achtsam weiter: Was wir dafür benötigen ist da, war immer da, in uns, um uns herum, überal:
Die Stille, die wertvolle Stille! Lasst uns ab und zu von der Menschenbühne abtreten, und so ihre Gedanken ruhen lassen.
…Alle hörten leise zu.
© Katia Morcillo

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